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Nachlese Preisverleihung des 12. Lyrikpreis des Mondseelands an Yevgeniy Breyger.

Vielen Dank, dass so viele von Ihnen mit uns Yevgeniy Breyger, den Preisträger des 12. Lyrikpreis des Mondseelands am 4. Mai im Fürstenzimmer des Schloss Mondsee gefeiert haben!

Unser besonderer Dank gilt dabei der Jury des Lyrikpreis des Mondseelands: Uta Degner, Mara-Daria Cojocaru (Preisträgerin 2021) und der Jury-Vorsitzenden und Laudatorin Ilma Rakusa für das Lesen, Auswerten und angeregte Diskutieren der eingereichten Texte. Wir sind sehr glücklich über die Entscheidung der Jury, Yevgeniy Breyger als Preisträger des Lyrikpreises ausgewählt zu haben.

Darüber hinaus möchten wir uns auch sehr herzlich bei Josef Wendtner, Bürgermeister der Marktgemeinde Mondsee, für seine rundum gelungene Ansprache zur Preisverleihung bedanken. Ohne die Unterstützung der Marktgemeinde Mondsee, den Gemeinden des Mondseelandes, der Kulturdirektion des Landes Oberösterreich sowie privaten Spender*innen wäre diese Veranstaltung nicht möglich!
Besonders gut hat uns auch die musikalische Begleitung durch den Cellisten Leonardo Petracci der Universität Mozarteum gefallen. Vielen Dank für die so passende Stückeauswahl.

v.l.n.r.: Ilma Rakusa – Vorsitzende der Jury, Josef Wendtner – Bürgermeister Mondsee, Yevgeniy Breyger – Preisträger 2023, Romana Sammern – Obfrau Mundwerk, Uta Degner – Jurymitglied

Und natürlich danken wir in erster Linie heute dem Preisträger Yevgeniy Breyger für die wunderbare Lesung und die anschließende Diskussion mit Ilma Rakusa und dem Publikum.


Die Laudatio von Ilma Rakusa zum Nachlesen

Ilma Rakusa
Laudatio auf Yevgeniy Breyger  (Lyrik-Preis des Mondseelandes 2024)

Meine Damen und Herren, liebe Poesiefreunde, lieber Yevgeniy!

Was geschieht, wenn ein Lyriker, der nie um Worte verlegen war, plötzlich nicht weiter weiss, weil es ihm die Sprache buchstäblich verschlägt? So ist es Yevgeniy Breyger ergangen, als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel. Breyger wurde 1989 in Charkiw in einer russischsprachigen ukrainisch-jüdischen Familie geboren, später übersiedelte er nach Deutschland. Seine Texte schrieb er auf Deutsch.
Im Februar 2022 hatte Breyger gerade seinen dritten Gedichtband beendet. Doch nach dem Überfall der Russen erschien er ihm als Makulatur. Was sollte diese barocke Sprache voller Wortspiele, die er bisher mit Erfolg verwendet hatte, jetzt, wo in seiner Heimat Krieg herrschte? Mit einem Mal war alles anders. Es zog ihm den Boden unter den Füssen weg. Und aus Verzweiflung, Ohnmacht und Wut begann er, über eben diese Verzweiflung, Ohnmacht und Wut zu schreiben: ungeschönt, roh, anklagend, fragend, wie ein moderner Hiob, der die Welt nicht mehr versteht und den Allerhöchsten zur Rechenschaft zieht.

Entstanden ist so der Gedichtband „Frieden ohne Krieg“, ein Gedichtband, wie es keinen zweiten gibt, und zweifellos der eindrücklichste aus der Feder von Yevgeniy Breyger. Auch der authentischste, wenn ich diesen etwas strapazierten Ausdruck verwenden darf. Denn in diesen Gedichten geht es um Existenzielles, Wesentliches, um Leben und Tod. Und um Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Damit verbunden um Widerstand gegen Gewalt, Lüge, Krieg.
Der Dichter erkennt in seinem Schreiben eine nicht nur persönliche Notwendigkeit (auch wenn diese im Vordergrund steht), sondern eine umfassendere Mission. In seiner Münchner Rede zur Poesie mit dem vielsagenden Titel „Am Anfang knäulte das Wort, am Ende platzt der Gottballon“ (2023) hat es Breyger so formuliert: „Dort, wo ein Gedicht die Notwendigkeit erkennt, nicht bloss Spiegel der Gesellschaft zu sein, verzaubertes Kästchen, Trillerpfeife, Gummihandschuh zum Einmalnutzen und weg damit, sondern sich aufmacht, die Zusammensetzung der Welt zu verstehen, übertritt seine Substanz die Grenze von Gas zu Flüssigkeit, gerinnt und gerät in – reale – Bewegung. Es wird also lebenstüchtig und lebendig.“

Lebendig in diesem Sinne ist Breygers Gedichtband „Frieden ohne Krieg“, für den der Autor gleich vier Preise zugesprochen bekam: den Lyrik-Preis des Mondseelandes, den manuskripte-Preis, den Christine-Lavant-Preis und den Klopstock-Preis. Ganz zu Recht. Spekuliert darauf hatte er mitnichten, gehört er doch nicht zu jenen, die auf Bestätigung und Zustimmung aus sind. Er tat nur, was er tun musste: er ging mit seinem Schreiben aufs Ganze, „samt Überschreitung von eigenen (!) Reflexions- und Empfindungsgrenzen“ (wie es in der erwähnten Münchner Rede zur Poesie heisst).

Im ersten, umfangreichen Gedicht des Bandes, „du musst das hören“, berichtet er von seiner verwickelten Familiengeschichte: vom Zweiten Weltkrieg bis zur „ämterodyssee“ in Deutschland. Man liest dieses Gedicht mit atemloser Beklemmung, wobei die Namen der Verwandten alle auf Kyrillisch geschrieben sind: Mina, Wassja, Rosa, Schura, Sweta, Witalik, Ira, Lisa, Maxim. Und was für Lebensläufe sie haben! 

Im Gedicht „schäm dich“ reagiert Breyger zornig darauf, welche Stereotype Deutsche über Ukrainer und Russen verbreiten und was für Missverständnisse in den Medien grassieren. Das erfüllt ihn mit Fremdscham, die in persönliche Scham übergeht. Seine eigene Situation zwischen den Welten und Fronten reflektiert er ebenso klar wie emotional, etwa wenn er in einem Gedicht schreibt: „abends sitz ich im restaurant und sprech ein wenig russisch / da fällt mir ein, 2 sprachen sprech ich jetzt / deutsch, russisch, einmal die, die meine leute massengemordet / einmal die, die in deren fussstapfen treten wollen und meine andren leute umbringen.“ Kann man Tragik deutlicher zum Ausdruck bringen?

Noch einmal: Breyger bzw. sein lyrisches Alter ego hinterfragen in diesen Gedichten Gott, Welt und Ich, wobei von konkreten Begebenheiten/Fakten ausgegangen wird: Erlebnissen, Gesprächen, Talk-Shows, Bahnhofsszenen, Nachrichtenmeldungen, Befindlichkeiten. Im Gedicht „ich musste mich noch nie bei so vielen menschen entschuldigen“ kulminiert diese Befragung in der heftigen Bitte: „nimm mich, g’tt, meine augenblicke sind so lang wie 1000 züge / zieh mich, g’tt aus der misere / pflastre die pfade meiner liebsten mit sucht und substituten / schneid dir das dritte auge ein mit nem schweizer messer / LIEBER g’ott, oh g’ott, aus schlamm sei dein hirn / damit du mich verstehst / damit du meine liebsten trägst durch grelles denken / und dunkelheit – verkleidet als licht / und musik auf gelenken, friede, ohne krieg“.

Ja, das ist heftig, verzweifelt. Und Breyger macht kein Hehl daraus. Seine Wortwahl ist bewusst, zwischen alttestamentarisch und expressionistisch-modern, zwischen Gebetston und schnoddriger Umgangssprache; Klage und Anklage vermischen sich.

Selbstmitleid findet sich in den Gedichten kaum, Gewissenserforschung, Verletzlichkeit und Empathie hingegen oft. Erschütternd ein Gedicht aus dem Zyklus „streuobst“, das davon handelt, dass eine ukrainische Mutter ihrem Kind den Rücken beschriftet, damit es im Notfall identifiziert werden kann. Breyger zitiert – faktographisch – die Worte der Mutter: „Ich habe Vira beschriftet für den Fall, / dass uns etwas passiert und jemand / sie als einzige Überlebende aufnimmt.“ Als Kommentar fügt er hinzu: „Sasha Makoviy, die den Rücken ihrer Tochter zur Identifizierung mit Namen, Geburtsdatum, Telefonnummer und Kontaktadresse beschriftete, ist laut ihrem Instagram-Account mittlerweile aus der Ukraine geflüchtet. Am Dienstag, 5. April, postete sie ein Bild von dem blonden Mädchen – lächelnd, mit einem Strauss gelber Frühlingsblumen.“ Der Dichter Yevgeniy Breyger als Überbringer einer frohen Botschaft in schwieriger Zeit.
Radikal geht es im umfangreichen Schlusspoem des Gedichtbandes, „aprillen“, zu. Es beginnt mit dem neologistischen Titelwort: einem Verb, abgeleitet vom Monatsnamen April. Das Poem selbst ist in drei Sprachen verfasst: Deutsch, Englisch, Russisch (in kyrillischen Lettern geschrieben). Auf Übersetzungen der fremdsprachlichen Passagen wird verzichtet. Der Text hat etwas von einem multilingualen Singsang, vor allem beim Vortrag durch den Autor, und entfaltet eine ergreifende Welthaltigkeit. Die Schlussverse möchte ich Ihnen vorlesen:

„wohin zieht ihr mich [Vöglein des Verstands]? wohin legt ihr mich? / wohin folgt ihr mir? / worin zeigt ihr euch? / weil die zeit vergeht, wie ein holzmagnet, / sich an rinde reibt. in dem augenblick / als morgentau mir die farben leiht / für vergessen und erinnerung. / liebe Maschenka, schöne Zoenka, teure Katenka / auf dem fussmarsch von kazimierz  ins /wäldchen, fühlt euch frei neben dem männchen / mit ziegenhaar. es erhört eure bitten / es trinkt einen kaffee. / weissblaues licht trifft das gesicht / nur mich sieht man nicht. / ich verstecke mich wie eine göttin in einer skizze / sieh her, du sitzt / zwischen den üblichen toten. im tagebuch – grausamster / monat april.“
Wieder wird die jüdische Familiengeschichte aufgerufen, wieder geht es um Krieg, Terror, Flucht und Trauer, um Kindheit, Heimat und Verlusterfahrung. Sprachlich fällt auf, dass die Emotionalität der russischen Muttersprache da und dort auch auf das Deutsche abfärbt, etwa in der Verwendung zärtlicher Diminutiva. Breyger arbeitet äusserst bewusst, schliesslich schreibt er Poesie, nicht Journale oder Reportagen. Und der Mehrwert der Poesie besteht in ihrer besonderen Wortwahl, Metaphorik und klanglich-rhythmischen Struktur, kurzum in Formbewusstsein und Handwerk. Nur so kann sie Erkenntnisgewinn, Freiheit, Resilienz und Heilung bringen.
Mit Breygers eigenen Worten in seiner „Rede zur Poesie“: „Aufmerksamkeit, Feinheit, Erbarmen, worin Menschen sich an Göttern spiegeln wollen, und die Unerbittlichkeit bloss im richtigen Moment und gerichtet bloss gegen sich selbst, sind die gesuchten Eigenschaften in meinem Gedicht. Wenn es ein Ziel hat, wird das Persönliche politisch und das Politische erhält eine ästhetische Dimension, das sind meine aktuell besten Hinweise für Modern Life.“

Danke, lieber Yevgeniy, für Deine horizonterweiternden, berührenden Gedichte, und herzlichen Glückwunsch zum Lyrik-Preis des Mondseelandes! Möge er Dir Ermutigung für Dein weiteres poetisches Schaffen sein. Und möge der Titel Deines prämierten Gedichtbandes „Frieden ohne Krieg“ bald Wirklichkeit werden.

                                                                                                      Ilma Rakusa